| Olympischer Spitzensport, Gerätturnen

Interview: Das Konzept des "Motivierenden Coachings" im Trainingsalltag beim BTB

Der Sportpsychologe Dr. Johannes Raabe blickt auf eine umfangreiche Vita bei verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen. Nach dem Erwerb eines Bachelors in Sportwissenschaften zog es ihn 2011 in die USA, wo er sich 2016 an der University of Tennessee als Ph. D. in Sports Psychology and Motor Behavior habilitierte. 2023 gründete er sein Unternehmen „Raabe Performance Consulting“.

Raabe hat mehr als 40 peer-reviewte wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Er forscht und lehrt vorrangig auf dem Gebiet des „Motivierenden Coachings“ und arbeitet seit 2021 mit dem BTB zusammen.

Dr. Johannes Raabe (2. v. l.) gemeinsam mit den BTB-Trainern Marvin Rauprich, Manuel Rothmann und Christoph Haase (v. l.).

KANNST DU „MOTIVIERENDES COACHING“ KURZ DEFINIEREN UND DIE ZENTRALEN ELEMENTE ERKLÄREN?

Beim motivierenden Coaching geht es, wie dem Namen zu entnehmen ist, gewissermaßen um die Motivation. Genauer gesagt liegt der Fokus jedoch auf der Förderung der sogenannten Selbstbestimmung bei Athleten, was bedeutet, dass ein Turner zum Beispiel turnt, weil es Spaß macht, eine persönliche Bedeutung und Wichtigkeit hat oder daraus Ziele und Werte im Selbstverständnis integriert werden können. Gerade in einer Sportart wie dem Turnen ist der Trainer bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung dieser Selbstbestimmung oftmals der zentrale Einflussfaktor. Wie in vielen Studien empirisch bewiesen, wirkt sich eine starke Selbstbestimmung sowohl positiv auf die Leistungspotenziale sowie das psychologische Wohlbefinden von Sportlern aus. Laut der Selbstbestimmungstheorie von Dr. Edward Deci und Dr. Richard Ryan kann die angesprochene Selbstbestimmung eines Athleten durch ein hohes Maß an Kompetenzerleben, Autonomie, und sozialer Eingebundenheit gefördert werden. Diese drei sogenannten psychologischen Basisbedürfnisse sind also eine Art Stellschraube, mit der ein Trainer durch motivierendes Coaching die Gedanken, die Gefühle und das Verhalten des Athleten optimieren kann. Der spezifische Fokus des motivierenden Coachings liegt also auf der Förderung der drei psychologischen Basisbedürfnisse des Sportlers durch optimale Interaktionen innerhalb der Trainer-Athletenbeziehung, einer bewussten Trainingsgestaltung, und einem dualen Fokus auf Leistung und Wohlbefinden.

 

WARUM IST DAS WOHLBEFINDEN DER ATHLETEN EIN ZENTRALER BESTANDTEIL DIESES ANSATZES?

Ganz banal gesagt, weil Athleten keine Roboter, sondern Menschen und die meisten BTB-Kaderathleten Kinder sind. Mir ist ganz klar bewusst, dass gerade im Spitzensport die sportliche Leistung natürlich eine wichtige Rolle spielt und dies kommuniziere ich auch mit allen Trainern, mit denen ich arbeite. Dies steht für mich jedoch in keinerlei Weise im Konflikt zum motivierenden Coaching, da meiner Meinung Höchstleistung und Wohlbefinden einfach nicht trennbar sind. Leider haben die nun schon etlichen negativen Beispiele im Turnen gezeigt, dass eine Leistung ohne Wohlbefinden zwar unter Abstrichen eventuell kurz- beziehungsweise mittelfristig möglich ist. Aber langfristig kommt jeder Turner an eine Grenze, an der es mental und/oder körperlich nicht weitergeht. Allzu oft verliert der Turnsport dadurch leider talentierte Athleten und dies ist aus meiner Sicht ein langfristig sowohl pädagogisch als auch sportlich unverantwortlicher Ansatz. Für mich sind Leistung und Wohlbefinden also keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich vielmehr. Ein Athlet, der sich wohl fühlt und mit einem hohen Maß an Selbstbestimmung in der Halle steht, hat ganz einfach die besseren Voraussetzungen, um Spitzenleistungen abzurufen.

 

WIE HILFST DU TRAINERN, DIE BEDÜRFNISSE IHRER ATHLETEN ZU ERKENNEN UND DARAUF EINZUGEHEN?

Man muss ganz ehrlich sagen, dass dies kein einfacher Prozess ist. Psychologische Bedürfnisse sind nicht immer offensichtlich erkennbar und gerade jüngere Kinder sind – teilweise entwicklungsbedingt – nicht immer in der Lage, diese einfach mitzuteilen. Es führt letztendlich für den Trainer also kein Weg daran vorbei, in der Halle ungemein aufmerksam zu sein. Dies bedeutet sowohl intensiv das Verhalten der Turner zu beobachten als ihnen auch aktiv zuzuhören. Mit dem richtigen Hintergrundwissen, welches ich versuche mit den Trainern zu entwickeln, kann man so beginnen, mögliche Defizite im Kompetenzerleben, der Autonomie, und/oder der sozialen Eingebundenheit der einzelnen Athleten zu erkennen. Was diesen Prozess erschwert ist, dass jeder einzelne Athlet seine eigenen Bedürfnisse hat und dass man bei Athleten oftmals erst einmal eine gewisse Sicherheit entwickelt werden muss, sich überhaupt mitzuteilen. Um auf die verschiedenen Bedürfnisse einzugehen, sollte man dann idealerweise individuelle Ansätze entwickeln was, gerade in größeren Trainingsgruppen oftmals auch ein hohes Maß an Kreativität erfordert.

 

WELCHE KONKRETEN MASSNAHMEN UND SCHULUNGEN HAST DU MIT DEN TRAINERN DES BTB DURCHGEFÜHRT?

Im Jahr 2024 hatte meine Arbeit mit den Trainern des BTB zwei Kernpunkte. Zum einen gab es ein individuelles Betreuungsangebot in dem ich mit einzelnen Trainern „unter vier Augen“ verschiedene Themen und/oder Problemstellungen aus sportpsychologischer Perspektive bearbeite. Dieses Format wir von einigen Trainern sehr regelmäßig, sprich häufig wöchentlich oder alle zwei Wochen, in Anspruch genommen. Thematischer Schwerpunkt ist hier auch oft das motivierende Coaching. Es werden jedoch eine Anzahl verschiedener Themen wie beispielsweise mentale Blockaden oder Fokus bearbeitet. Neben dieser regelmäßigen Betreuung haben wir im Gerätturnen männlich in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung (UWV) für den Deutschland-Pokal in Schwäbisch Gmünd eine spezifische Schulung zum Thema Wettkampfcoaching durchgeführt. Hier hatte ich die Möglichkeit, eine ganze Woche intensiv mit den Kadertrainern vor Ort zu arbeiten. Täglich haben wir auf Basis von Trainingsbeobachtungen die jeweiligen Einheiten aus sportpsychologischer Perspektive interaktiv analysiert. Des Weiteren wurden intensiv die Themen Fokus, Nerven, Ansprachen, Fehler und Teamzusammenhalt bearbeitet. Wir haben uns also mit Fragen wie „Wie helfe ich Turnern optimal mit Fehlern oder Stürzen im Wettkampf umzugehen?“ oder „Wie gehe ich optimal mit Nervosität seitens der Turner und Trainer um?“ beschäftigt. Mein Ansatz war dabei eine Kombination aus theoretischem/empirischen Input und praktischer Anwendung. Besonders hat mich gefreut, dass ich am Anschluss an die UWV auch die Möglichkeit hatte, das Team vor Ort in Schwäbisch-Gmünd zu unterstützen.

 

INWIEFERN SPIELT DER TEAMZUSAMMENHALT IM TURNSPORT EINE ROLLE UND WIE FÖRDERST DU DAS IN DEINER ARBEIT?

Mir ist bewusst, dass in einer Sportart wie dem Turnen der Athlet letztendlich alleine am Gerät steht. Dennoch bin ich der Meinung, dass der Rückhalt eines Teams eine unglaublich positive Wirkung auf den Einzelnen haben kann. Ich denke in meiner Zusammenarbeit mit dem BTB war der letztjährige Deutschland-Pokal im Gerätturnen männlich, den ich gerade angesprochen hatte, ein Paradebeispiel. Während des gesamten Wettkampfs war der Zusammenhalt innerhalb der beiden Teams (AK9/10 und AK13/14) wirklich deutlich erkennbar und letztlich haben die Mannschaftsleistungen dies widergespiegelt. Teamzusammenhalt ist ein komplexes Thema da man aus einer Gruppe von Athleten mit teilweise unterschiedlichen Persönlichkeiten und Zielsetzungen ein Kollektiv schaffen muss. Für mich gibt es hier im Prinzip drei zentrale Fragestellungen. 1. Haben wir als Team eine gemeinsame Zielsetzung? 2. Haben wir formelle und/oder informelle Prozesse, die es uns erlauben, als Team sowohl in unseren Aufgaben als auch menschlich zusammenzuwachsen? 3. Hat jedes Mitglied des Teams eine klare Rolle, mit der sich die Person gerne und sicher identifizieren kann? Meine Zielsetzung in der Arbeit mit den Trainern ist es, diese drei Fragen positiv beantworten zu können.

 

WAS BEDEUTET „KOMMUNIKATION AUF AUGENHÖHE“ FÜR DICH UND WIE SCHULST DU DIE TRAINER, DIESE HALTUNG UMZUSETZEN?

Kommunikation auf Augenhöhe bedeutet für mich Kommunikation mit Respekt. Ich muss jedoch auch zugeben, dass dies oftmals ein relativ abstrakter Begriff sein kann. Um es also genauer auszudrücken, schafft es für mich eine Kommunikation auf Augenhöhe optimal, alle drei psychologischen Basisbedürfnisse zu fördern. Gelingt es dem Trainer also, dem Athleten durch seine Rückmeldungen eine Sicherheit im Kompetenzerleben zu vermitteln, ein gewisses Maß an Mitspracherecht zu ermöglichen und eine positive Beziehung zu entwickeln, in der sich der Athlet wohlfühlen kann? Bei der Schulung diese Art und Weise der Kommunikation sind wir also wieder beim Thema motivierendes Coaching. 

 

KANNST DU EIN BEISPIEL NENNEN; WIE SICH DURCH DEINE MASSNAHMEN DIE KOMMUNIKATION INNERHALBEINES TEAMS VERÄNDERT HAT?

Ich arbeite aktuell mit einem Team, dass in der Saisonvorbereitung neu aufgestellt wurde und anfänglich deutliche Probleme damit hatte, sich gegenseitig in der Verantwortung zu halten. Dadurch wurden verschiedene Vorstellung bezüglich Trainingsverhalten zu Beginn der Vorbereitung nicht erfüllt. Meine Aufgabe mit diesem Team war es also, gemeinsam ein Klima zu entwickeln, in dem sich alle Athleten wohlfühlen, offen zu kommunizieren, auch wenn dies bedeutet, ab und zu ein anderes Mitglied des Teams konstruktiv zu kritisieren. Ähnlich wie oben bereits erwähnt, haben wir hierbei zuerst eine allgemeine Zielsetzung erarbeitet und darauf aufbauend Prozesse entwickelt, die jedem im Team erlauben, gerade in kritischen Momenten offener zu kommunizieren. Hierbei war es mir wichtig, ein hohes Maß an Selbstbestimmung zu fördern, was unglaublich schnell Wirkung gezeigt hat, da die Prozesse, die wir gemeinsam entwickelt haben, etwas abstraktes wie „gute Kommunikation“ konkretisiert haben. Der letzte Schritt, an dem wir gerade noch arbeiten, ist dann die individuelle Rollenverteilung innerhalb des Teams.

 

WIE GEHST DU MIT MENTALEN BLOCKADEN UM UND WELCHE STRATEGIEN EMPFIEHLST DU ZUR ÜBERWINDUNG SOLCHER HINDERNISSE?

In der individuellen Betreuung ist es mir wichtig, keinen „one-size-fits-all“-Ansatz zu verfolgen, sondern meine Strategien spezifisch den Bedürfnissen des Athleten oder Trainers anzupassen. Dies ist bei mentalen Blockaden nicht anders. Diese sind meiner Meinung etwas sehr Individuelles und es ist deshalb ungemein wichtig, zuerst so gut wie möglich die Ursachen der Blockade zu analysieren, bevor man überhaupt an Strategien denken kann. Der erste Schritt ist also Ursachenforschung. Um die Frage trotzdem zu beantworten, muss ich sagen, dass ich allgemein ein großer Befürworter von Atemübungen und Visualisierung bin. Während wir natürlich alle täglich atmen, haben ich in meiner Arbeit mit Athleten leider feststellen müssen, dass die Wenigsten wissen, wie man diese Atmung bewusst und optimal als mentale Strategie anwenden kann, um beispielsweise die eigenen Nerven zu beruhigen. Eine Visualisierung ermöglicht es Athleten darüber hinaus, mental die Blockaden Stück für Stück abzuarbeiten, bevor man dies dann wirklich konkret am Gerät machen muss.

 

WAS IST DEIN LANGFRISTIGES ZIEL FÜR DIE ZUSAMMENARBEIT MIT DEM BTB?

Kurz gesagt: Für die Trainer eine Ressource zu sein, die es ihnen ermöglicht, eine optimale Balance zwischen einem Fokus auf Leistung und Wohlbefinden zu finden und dabei mögliche Frustpotentiale, die wir alle erleben, besser zu verarbeiten. 

 

HAST DU EINE VISION, WIE MOTIVIERENDES COACHING DEN SPORT INSGESAMT VERÄNDERN KÖNNTE?

Ich hoffe, dass immer mehr Trainer realisieren, dass es zum einen auch „anders“ geht, sprich ohne unnötigen Druck, psychologische Gewalt und ähnliches. Und zum anderen, dass der duale Fokus auf Leistung und Wohlbefinden letztendlich zu mehr Erfolg führt – sowohl in der Halle als auch langfristig im Leben des Athleten. Athleten sollten mit Stolz und Freude auf ihre sportliche Kariere zurückblicken und nicht mit Kummer und Schmerzen. Um dieses Interview positiv abzuschließen, möchte ich ganz klar sagen, dass man natürlich oftmals primär die Negativbeispiele in den Medien sieht, es aber auch wirklich sehr viele, sehr gute Trainer gibt, einige davon mit Sicherheit beim BTB.