Die Spielarten der Capoeira

Capoeira – eine Einführung

Capoeira ist eine afro-brasilianische Kampfsportart, die im 17. Jahrhundert in Brasilien von Sklaven aus verschiedenen Regionen Afrikas als Widerstandskampf entwickelt wurde. Um den Kampf als Tanz zu tarnen, vereint Capoeira Angriffstechniken mit tänzerischen Elementen und rhythmischer Musik. Heute wird Capoeira in über 170 Ländern praktiziert und gilt als größter Verbreiter der brasilianischen Sprache und Kultur in der Welt.

Obwohl Capoeira als Kampfkunst bezeichnet wird, "kämpft" der Capoeirista nicht, sondern "spielt". Das Spiel findet innerhalb eines Menschenkreises statt, der Roda genannt wird. In der Roda treten zwei Spieler auf und versuchen, in fließenden Bewegungen in harmonischer Körpersprache miteinander zu kommunizieren. Dies wird von verschiedenen Instrumenten begleitet sowie durch den Gesang und das Klatschen der weiteren Teilnehmer beeinflusst. Es gibt verschiedene Spielarten, manche eher auf Akrobatik, andere eher auf „Kampf“ ausgelegt. Die Spielart wird durch die Leiterin bzw. den Leiter der Roda angegeben. Die kognitiv, affektiv und motorisch orientierte Interaktion zwischen den Spielern basiert auf verschiedenen Normen und Regeln, findet in der Roda jedoch frei improvisiert Anwendung.


Die Spiel-Stile

Innerhalb der Capoeira wird zwischen drei Spielarten unterschieden. Alle sind geprägt von ihren einzigartigen Kopfstößen (Cabeçadas), Würfen (Quedas) und Fußfegern (Rasteiras), nur die Art des Ausdrucks unterscheidet sich.

Capoeira Angola wird näher am Boden gespielt, die Bewegungen erscheinen langsam und überlegt, mit kurzen, explosiven Angriffen. Angola wird durch seine Überraschungsmacht, seine "Malícia" zu einem gefährlichen Spiel, in dem die Konzentration in keiner einzigen Sekunde fehlen darf. Der Name "Angola" kommt von der Bezeichnung der Sklaven, die aus Westafrika nach Brasilien gebracht wurden und in Luanda, Angola, in die Schiffe verfrachtet wurden. Mestre Pastinha wird mit dieser Spielart in Verbindung gebracht.  

Capoeira Regional wurde von Mestre Bimba erfunden. Er kreierte acht Sequenzen, durch die er seinen Schülern Capoeira beibrachte. Somit war er einer der ersten Capoeira-Meister, der eine Methodik und Didaktik in seinen Unterricht aufnahm. Ursprünglich nannte Bimba seine Spielart "Regionaler Kampf aus Bahia", daher der Name "Regional". In der Regel werden drei Spiele innerhalb der Capoeira Regional unterschieden: Benguela (ein langsames Spiel auf dem Boden), São Bento Grande (ein schnelles Spiel) und Iúna (ein Spiel mit akrobatischen Elementen).

Der Begriff der Capoeira Contemporânea, die "zeitgenössische" Capoeira, tauchte erstmals in den 1990er Jahren auf, um eine Entwicklungsbewegung der Capoeira zu beschreiben, die von Mestre Camisa und seiner in den 1970er Jahren geleiteten Gruppe Capoeira Senzala initiiert wurde. Mestre Camisa war Schüler von Mestre Bimba, dem Entwickler der Capoeira Regional. Im Laufe der Zeit entwickelte er aus den Techniken seines Meisters eine eigene Trainingsphilosophie und -methodik.


Capoeira als Wettkampfsport

Capoeira-Meisterschaften sind eine noch relativ junge Erscheinung. Erst mit der Entwicklung und Verbreitung der Capoeira Regional ab den 1970er Jahren hielt der Wettkampfgedanke mehr und mehr Einzug. 1975 fand in Brasilien die erste Capoeira-Meisterschaft, 1982 die erste Weltmeisterschaft statt. Heute haben Landes-, Europa- oder Weltmeisterschaften für viele Capoeiristas einen festen Platz im Capoeira-Jahr – aber längst nicht für alle. Bei der Frage, ob man Capoeira überhaupt als Wettkampf betreiben "kann", gehen die Meinungen durchaus auseinander. Kritiker sagen, das Wettkampfkonzept passe nicht zum kulturellen Hintergrund der Capoeira; durch Wertungen und formalisierte Wettkampfregeln verliere das Spiel den Witz und die Vielfalt, die Roda werde monoton. Bemängelt wird mitunter auch der Organisationsgrad oder die „Kommerzialisierung“, die mit einer Meisterschaft einhergehe.

In anderen Gruppen wie Muzenza oder ABADÁ gehören Wettkämpfe und Meisterschaften ganz natürlich dazu. Ihre Mitglieder freuen sich über den positiven Trainingsimpuls, der von den Wettkämpfen ausgeht, über die gute Stimmung bei den Events, die Möglichkeit Capoeiristas aus anderen Städten und Ländern zu treffen, Freundschaften zu pflegen – und auch, sich mit ihnen in der Roda zu messen.

Dabei unterscheidet sich ein Capoeira-Wettkampf stark von Wettkämpfen in anderen (Vollkontakt-) Kampfsportarten. Das Besondere: Die Punkte werden nicht nur an den einzelnen Capoeirista oder pro "Treffer" vergeben. Wichtig ist das Spiel als Ganzes: Das bedeutet, dass ein Spieler nicht nur auf seine eigene Darbietung oder Überlegenheit bedacht sein darf, sondern sein Spiel dem anderen Capoeirista und dessen Fähigkeiten anpassen muss. Ziel ist es, das Potenzial eines jeden Spielers im Wettkampf zur Entfaltung zu bringen. Bewertet werden unter anderem das Zusammenspiel, die Technik und die Kreativität der Spieler. Auch das im Spiel manifeste Wissen um den kulturellen Hintergrund und die Tradition der Capoeira ist wichtig: Wer den Rhythmus und die Charakteristik der verschiedenen Spielarten nicht beachtet, erhält keine gute Punktzahl. Strafpunkte gibt es auch für Knockout-Versuche; wer den Mitspieler absichtlich schwer verletzt, muss einen Ausschluss vom Wettkampf fürchten.

Capoeira-Meisterschaften werden in verschiedenen Kategorien ausgetragen. Je nach Kategorie absolvieren die Capoeiristas mehrere Spiele in verschiedenen Spielarten oder Rhythmen – zum Beispiel dem langsameren Benguela und dem rasanten São Bento – und sammeln dabei Punkte. Wer genügend Punkte hat, kommt eine Runde weiter – von den "Eliminatórias", den Vorausscheidungsspielen, bis zum Finale.