Spannung in der Luft, aufmerksame Blicke, gespannte Muskeln – das Thema Akrobatik in der Capoeira lockte zahlreiche Capoeiristas am 10. Mai 2025 zur Fachtagung des Fachgebiets Capoeira des Badischen Turner-Bundes. In Theorie und Praxis wurde gemeinsam erarbeitet, welche Formen von Akrobatik es in der Capoeira gibt, welche körperlichen und didaktischen Voraussetzungen dafür notwendig sind – und wie sie sinnvoll im Training vermittelt werden kann.
Ein zentrales Ziel der Tagung war es, zu diskutieren, wie ein kindgerechtes Akrobatiktraining in der Capoeira gestaltet sein sollte. Dabei standen nicht nur die technischen Anforderungen, sondern auch pädagogische Fragen, Sicherheitsaspekte und die individuelle Förderung im Fokus. Geleitet wurde der Workshop von Alexander Leist (Graduado Sabugo) von Capoeira Heidelberg – Kampf, Kunst und Kultur aus Brasilien e. V. (Gruppe Maré Alta).
Theorie trifft Praxis – und beides auf Begeisterung
Nach einem kurzen Warm-up begann der Tag mit einem fundierten Theorieteil: Was genau ist eigentlich Akrobatik in der Capoeira? In Kleingruppen wurde dieser Fragen diskutiert. Eine zentrale Erkenntnis: Akrobatik ist mehr als spektakuläre Show – sie ist ästhetisch, körperlich fordernd und funktional. Sie kann das Spiel bereichern, das Gegenüber irritieren und das Können demonstrieren – kurz gesagt: das “Gewürz” der Capoeira.
Unterschieden wurde unter anderem zwischen statischer, dynamischer und Sprungakrobatik, mit oder ohne Bodenkontakt, einzeln oder in Partnerarbeit. Auch die Unterscheidung zwischen offensiver und defensiver Akrobatik wurde beleuchtet – denn ein Sprung kann ebenso ein Angriff wie eine Ausweichbewegung sein.
Dabei wurde deutlich: Akrobatik in der Capoeira verlangt mehr als körperliche Fitness. Neben Technik, Balance, Kraft und Flexibilität spielen räumliche Vorstellungskraft, kognitives Verständnis und psychische Stärke eine ebenso wichtige Rolle.
Didaktik, Differenzierung und Sicherheit
Besonderes Augenmerk lag auf der Frage: Wie kann Akrobatik im Kindertraining sinnvoll, sicher und motivierend vermittelt werden? Die Teilnehmenden diskutierten, ob Trainer*innen selbst jede Akrobatik ausführen können müssen. Ergebnis: Nicht zwingend – entscheidend ist ein gutes didaktisches Verständnis. Wer weiß, wo Schwierigkeiten auftauchen, kann besser unterstützen. Eigene Lernprozesse können sogar ein Vorteil sein, um sich in die Perspektive der Lernenden hineinzuversetzen.
Binnendifferenzierung wurde als Schlüssel im Kindertraining hervorgehoben. Unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen sollten aufgegriffen, individuelle Zugänge ermöglicht und Ziele gemeinsam erarbeitet werden. Dabei hilft eine schrittweise Heranführung an komplexe Bewegungsabläufe: vom spielerischen Einstieg über Tierbewegungen ("wie ein Jaguar laufen", “wie ein Äffchen springen”) bis zur vollständigen Akrobatik.
Sicherheit war ein durchgängiges Thema. Klare Regeln, gut geschulte Hilfestellung, geeignete Materialien (wie Air-Track, Turnmatten oder Gymnastikbälle) und ein wertschätzender Umgang mit Angst oder Zurückhaltung waren zentrale Elemente der Diskussion. Und nicht zuletzt: Ein sorgfältiges Aufwärmen und achtsame Begleitung sind essenziell.
Praxis mit Dynamik
Im anschließenden Praxisteil setzten die Teilnehmenden das theoretisch Erarbeitete in Bewegung um. Ob Handstand (Bananeira), Rad (Au) ohne Hände oder Macaco – ein Sprung aus der Bodenbewegung heraus, der an einen kleinen Rückwärtssalto erinnert – alle hatten die Möglichkeit, neue Reize zu setzen, Hilfestellungen zu üben und sich gegenseitig auszuprobieren. Besonders spannend: Die Methode “Schritt-für-Schritt” konnte direkt mit den bereitgestellten Materialien umgesetzt und reflektiert werden. Dabei wurde auch die Rolle getauscht – viele Capoeiristas nahmen bewusst die Perspektive der Lernenden ein, was neue Impulse für das eigene Training lieferte.
Offene Roda – Austausch auf Augenhöhe
Abgerundet wurde die Fachtagung durch eine Offene Roda mit Capoeiristas aus verschiedenen Vereinen. In dieser bunten Mischung lag eine besondere Qualität: Austausch ist ein zentrales Element der Capoeira – er erweitert Horizonte, bringt unterschiedliche Stile zusammen und fördert das gegenseitige Verständnis.
Ein besonderes Highlight war das gemeinsame Spiel unter dem Toque Santa Maria. Dieses wird traditionell mit hoher Geschicklichkeit verbunden: Ziel ist es, ein Caxixi (Rassel, die in der Capoeira-Musik eine wichtige Rolle spielt) oder einen ähnlichen Gegenstand in der Mitte der Roda ausschließlich mit dem Mund vom Boden aufzuheben – ohne mehr als zwei Körperteile auf dem Boden zu haben. Eine spielerische Herausforderung, die Balance, Kreativität und Ausdruck vereint – und die Vielseitigkeit der Capoeira eindrucksvoll zeigt.
Theorie, Praxis, Austausch – die diesjährige Fachtagung war ein voller Erfolg. Die Teilnehmenden nahmen neue methodische Impulse, inspirierende Bewegungserfahrungen und wertvolle Kontakte mit in ihre Trainingsgruppen. Wir freuen uns schon auf das nächste Mal im Jahr 2026!