Die Geschichte der Capoeira

Kolonialmächte und Sklaverei

Europa im ausgehenden 15. Jahrhundert: Die konkurrierenden Seemächte Spanien und Portugal sind auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien, um sich die Vormachtstellung im Gewürzhandel zu sichern. Während den Portugiesen bereits 1488 die Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung gelang, versucht die spanische Krone, eine kürzere Route in westlicher Richtung ausfindig zu machen. Die anschließende "Entdeckung" Amerikas im Jahr 1492 durch Christoph Kolumbus markierte den Beginn der Neuzeit in Europa.

Um eine bewaffnete Konfrontation zwischen Portugal und Spanien zu verhindern, drängt Papst Alexander VI. auf eine Einigung: Er schlägt die Aufteilung der Welt in einen spanischen und einen portugiesischen Teil vor. Nach Einigung der Parteien fiel den Portugiesen neben Afrika und Asien auch die Ostküste des heutigen Brasiliens zu. Die Portugiesen landeten um 1500 in der Nähe des heutigen Porto Seguro. Die reichen Vorkommen an Brasilholz gaben dem Land seinen heutigen Namen- und sein erstes Exportprodukt.

Um die neue portugiesische Kolonie wirtschaftlich zu stärken, setzte man auf den Anbau von Zuckerrohr, da Zucker als teures Gut zu dieser Zeit gut verkauft werden konnte. Zunächst wurden Indianer als Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen eingesetzt; da sie aber aus Europa eingeschleppten Erkrankungen erlagen oder sich in Gefangenschaft das Leben nahmen, begannen die portugiesischen Kolonialherren 1538 mit dem Import afrikanischer Sklaven. Insgesamt wurden mehr als 3 Millionen Menschen nach Brasilien verschleppt; etwa genauso viele Afrikaner starben während der Verschiffung oder kurz nach der Ankunft in Brasilien. Die Sklaverei bedeutete neben Zwangsarbeit unter schlimmsten Bedingungen auch den Verlust von Familie, Freunden und der nationalen Zugehörigkeit. Durch die Vergabe neuer Namen durch die Kolonialherren verschwand zuletzt auch die eigene Identität. Obwohl die Zahl der afrikanischen Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen die Anzahl der portugiesischen Kolonialherren bei Weitem übertraf, kam es kaum zu Aufständen: Harte Bestrafungen, das Fehlen von Waffen, aber auch die unterschiedliche Herkunft, Sprache und Kultur der Sklaven sowie die Unkenntnis der neuen Umgebung verhinderten zunächst das Aufbegehren der Sklaven. Gemeinschaft fanden die Sklaven in neu entstehenden Kulturformen- zum Beispiel in der Capoeira.


Der Weg in die Freiheit: Flucht aus den Zuckerrohrplantagen

In den Zuckerrohrplantagen vermutet man dann auch die Ursprünge von Capoeira als mögliche Waffe zur Selbstverteidigung, entstanden aus verschiedenen afrikanischen Kampfstilen. Getarnt wurden diese Kampftechniken mit Tanz und Musik. Wer fliehen konnte, musste sich auf der Flucht durch unwirtliches Land durchschlagen und gegen Sklavenjäger verteidigen. Ziel der Flüchtlinge waren Gemeinden, die von entflohenen Sklaven gegründet waren: die Quilombos.

Diese Siedlungen im brasilianischen Hinterland boten auch brasilianischen Ureinwohnern und anderen verfolgten Minderheiten eine Zuflucht. Quilombos fanden sich oft nahe an Siedlungen und Plantagen; dies verleitete oft eine größere Zahl von Sklaven zur Flucht. Aus diesen Gründen mussten die Bewohner der Quilombos in der Lage sein, ihre Siedlungen gegen die Angriffe u.a. von Sklavenjägern zu verteidigen.

Der bekannteste und größte Quilombo war Palmares. Palmares wurde um 1600 gegründet und bestand fast einhundert Jahre lang. Zeitweise lebten bis zu 30.000 Menschen in Palmares, geleitet von einem gewählten Anführer.

Die portugiesischen Kolonialherren unternahmen mehrere militärische Expeditionen, um die Siedlung zu zerstören, die alle scheiterten, denn die Bewohner verteidigten Palmares mit Befestigungsanlagen und Fallgruben. Oft wird hier die Weiterentwicklung der Capoeira verortet; auch sollen die Bewohner Capoeira- Techniken zur Verteidigung verwendet haben.


Capoeira in der Moderne: Aus der Illegalität zum Nationalsport und Weltkulturerbe

Von 1864 bis 1870 befanden sich Brasilien, Argentinien und Uruguay im Krieg mit Paraguay. Dieser Krieg führte in Brasilien zu einer Stärkung der Gegner der Sklaverei, da viele Sklaven als Freiwillige im Krieg gedient hatten (und im Gegenzug die Freiheit erhielten). 1888 wurde die Sklaverei durch die Lei Áurea von Regentin Prinzessin Isabella abgeschafft; Brasilien war damit das letzte westliche Land, das die Sklaverei abschaffte.

Kurz vor Abschaffung der Sklaverei sorgte die fortschreitende Urbanisierung Brasiliens für einen erhöhten Bedarf an Sklaven in den Städten. Hier begann Capoeira aufzublühen. Schwarze schlossen sich in den Städten zu Banden zusammen, die blutige Kämpfe austrugen. Die Regierung sah sich von Capoeira bedroht und begann, die Ausübung von Capoeira hart zu bestrafen.

Die Abschaffung der Sklaverei fiel mit verstärkter Immigration aus europäischen und asiatischen Ländern nach Brasilien zusammen. Die befreiten Sklaven waren obdach- und arbeitslos und eine Einstellung unerreichbar. Die chaotischen Zustände in brasilianischen Städten führten zum Erstarken der Banden; Capoeiristas setzten ihre Kenntnisse als Bodyguards, bezahlte Schläger und Auftragskiller ein. Mit Gründung der Republik 1889 wurde Capoeira verboten. Neben den Unruhen in den Städten fürchtete die Regierung der Republik, dass die Capoeiristas (mehrheitlich Schwarze) monarchietreu seien (immerhin hatte Prinzessin Isabella durch Unterzeichnung der Lei Áurea für die Abschaffung der Sklaverei gesorgt). Bei Ausübung von Capoeira drohte Gefängnis, Folter und Verbannung. Rodas wurden versteckt durchgeführt; Wachposten warnten die Spieler vor der ankommenden Polizei. Capoeira wurde nur noch an wenigen Orten ausgeübt (Rio de Janeiro, Recife, Salvador da Bahia). Zu dieser Zeit begannen Capoeiristas, sich mit Spitznamen in den Rodas anzureden. Da sie die Klarnamen ihrer Mitspieler nicht kannten, konnten sie diese auch unter Folter nicht an die Polizei verraten.

Heute ist Capoeira nicht nur brasilianischer Nationalsport, sondern auch als immaterielles Kulturerbe von der UNESCO anerkannt; eine Entwicklung, die maßgeblich von zwei herausragenden Capoeira-Meistern getragen wurde: Mestre Bimba und Mestre Pastinha.

Beitrag von: Intrutora Lilás (L. Sax dos Santos Gomes), Graduada Bolacha (B. Hienz) und Aluna Gabiroba (L. Grüterich)